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Europa: Frieden, Freiheit und Wohlstand

BDV-Vorsitzender Friedrich Bohl im Interview

 

Gut 60 Jahre nach ihrer Gründung steckt die Europäische Union in der Krise. Große Themen wie die Flüchtlingspolitik sind nicht gelöst, andere wie der Brexit rufen massive Unsicherheit hervor. Noch keine sechs Monate ist es her, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein flammendes Europa-Plädoyer hielt, vor kurzem hat er im Europäischen Parlament noch einmal intensiv für seine Reformideen geworben.

Auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist bekannt, dass sie ein integratives Europa befürwortet. Doch die EU-Skeptiker gewinnen Oberwasser - Wahlerfolge in Polen, Österreich, Italien und Ungarn zeugen davon. Vor allem viele osteuropäische Staaten misstrauen einem starken Brüssel.

In diesen Tagen findet die diesjährige Europawoche statt und die europäische Politik möchte so den 508 Millionen EU-Bürger die Werte und die kulturelle Identität des Kontinents wieder näherbringen. Ob die Charmeoffensive der europäischen Politelite gelingt, bleibt offen.

In einem Jahr wird das Europäische Parlament neu gewählt, und wenige Monate später kommt eine neue EU-Kommission ins Amt. Eine runderneuerte EU wird es bis dahin nicht geben. Die Widerstände auch in einigen westeuropäischen Ländern sind zu groß.

Doch wird eine Debatte über die Zukunft Europas stattfinden. Wir führten darüber ein Interview mit dem Vorsitzenden unseres Verbandes, Friedrich Bohl. Als Chef des Bundeskanzleramtes (1991 – 1998) unter Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hat Friedrich Bohl die deutsche Europapolitik maßgeblich mitbestimmt. Eine Standortbestimmung:

BDV: Herr Bohl, Sie sind ein genereller Befürworter des integrativen Europa. Warum sollen wir weiter an diese Ziele glauben?

Bohl: Europa ist seit mehr als 70 Jahren ein Erfolgsprojekt. Nie haben wir länger Frieden auf diesem Kontinent gehabt. Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit sind Werte, die wir uns nicht mit Waffen, sondern mit politischen und diplomatischen Mitteln erarbeitet haben. Die Europäische Union ermöglicht uns gleichermaßen einen gewissen Wohlstand und eine Art zu leben, um die uns viele andere beneiden. Wir vergessen das mitunter zu schnell. Doch wir müssen unsere Errungenschaften unter allen Umständen verteidigen, dann ist mir auch vor der Zukunft nicht bange.

BDV: Warum ist die EU für Deutschland so wichtig und umgekehrt Deutschland auch für die EU?

Bohl: Die Bedeutung des europäischen Binnenmarkts für die deutsche Wirtschaft ist enorm. Zum Beispiel die Handelsbeziehungen mit Frankreich, aber auch mit Großbritannien. Aber es sind nicht nur die reinen wirtschaftlichen Fakten. Deutschland liegt in der Mitte Europas und ist mit 82 Millionen Einwohnern der größte EU-Mitgliedsstaat. Von unserer Seite muss Verlässlichkeit und Stabilität ausgehen.
Im Übrigen: Natürlich sind alle EU-Partner kraft der Verträge gleichberechtigt. Doch ein gutes Verhältnis zu Frankreich (unser Exportland Nr. 1) bleibt das A und O europäischer Politik. Ich verfolge die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Reform der EU mit großem Interesse.
Manches mag ich unterstützen wie eine gemeinsame Sicherheits- und Migrationspolitik, Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus sowie den Schutz der Außengrenzen aber auch Klimaschutz und Forschung. Bei anderem wie einem Finanzminister für die Eurozone bleibe ich skeptisch. Ich registriere auch sehr genau, dass die skandinavischen Länder oder auch die Niederlande zum Beispiel diesen Weg nicht mitgehen wollen.

BDV: Mitunter wird ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ins Spiel gebracht. Was halten Sie davon?

Bohl: Ich habe gerade darauf hingewiesen, dass zum Beispiel ein herausgehobenen Verhältnis, gemeinsame Initiativen und ein fruchtbarer Dialog mit Frankreich gerne als Motor der EU wahrgenommen werden können. Aber ich strebe eigentlich weder ein Kerneuropa noch ein Europa der zwei Geschwindigkeiten an. Die Europapolitik von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl, die ich über viele Jahre mitgestalten durfte, lebte davon, dass wir alle gleich behandelten, gerade für die kleinen Länder ein offenes Ohr hatten und niemandem das Gefühl gaben, am Wegesrand zurückzubleiben.

BDV: Der Eindruck bleibt, dass die Bürger sich von Brüssel und ihren Politikern nicht mehr wahr- und ernstgenommen fühlen. Geht es Ihnen ähnlich und welche Schritte muss man dagegen unternehmen?

Bohl: Die Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union sind komplex und kompliziert. Schon bei diesen demokratisch legitimierten Abläufen kommt man ja manchmal aus dem Staunen nicht heraus. Was mich stört, ist der moralische Zeigefinger, wenn er aus Brüssel erhoben wird. Die EU-Zentrale wird zu oft als Vorschriftenbehörde wahrgenommen. Es gibt ja auch immer mehr Bürokratie, neue Behörden, neue Leitlinienerlasser usw. Da möchte man ja manchmal wirklich den Riegel vorschieben. Die Menschen müssen unbedingt das Gefühl haben, von den Politikern wahrgenommen zu werden. Sonst wird Protest gewählt.

BDV: Europa hat bei der Lösung der Banken- und Finanzkrise doch eigentlich Handlungsfähigkeit und auch eine gewisse Widerstandskraft zum Wohle der Bürger bewiesen. Die Wahrnehmung bei den Menschen war offensichtlich anders. Warum?

Bohl: Der Euro-Rettungsschirm hat fünf Ländern geholfen: Portugal, Spanien, Irland, Zypern und Griechenland. Insgesamt hat er 273 Milliarden Euro an Krediten vergeben – das ist eine riesige Summe.
Vier der fünf Länder sind heute eindeutig Erfolgsgeschichten. Sie können sich selbstständig am Markt refinanzieren und haben mit die höchsten Wachstumsraten in Europa, die Arbeitslosigkeit sinkt und ist zum Beispiel in Irland niedriger als vor der Krise, in Spanien gibt es drei Prozent Beschäftigungswachstum.
Griechenland ist im Moment der einzige Problemfall, aber auch dort verzeichnen wir kleine Fortschritte. Aber es stimmt, der Eindruck der Bürger ist zum Teil ein anderer. Dann scheinen mir gute Inhalte nicht intelligent kommuniziert.

BDV: Zu den großen politischen Brocken gehört die Türkei-Politik. Welche Meinung vertreten Sie?

Bohl: Die Türkei ist im Moment so weit weg von der Europäischen Union wie in den letzten 50 Jahren nicht und so lange laufen ja schon die Gespräche. Die Kluft zwischen EU und der Türkei ist aber nicht die Schuld von Brüssel. Die Entwicklungen in der Türkei sind bedenklich. Hier bleibt Diplomatie und Fingerspitzengefühl gefragt, damit die Türkei unser Partner bleibt.

BDV: Noch ein Wort zu den Themen unseres Verbandes. Brüssel hat in den vergangenen Jahren bei den Finanzdienstleistungen kräftig an der Regulierungsschraube gedreht. Sollten wir die Vorgaben jetzt mal einige Jahre auf ihre Wirksamkeit überprüfen?

Bohl: Davon bin ich felsenfest überzeugt. Brüssel hat uns in den vergangenen Jahren nicht geschont, aber wir haben auch unsere Hausaufgaben gemacht. Nun muss man uns auch mal die Zeit geben, das gesamte Maßnahmenpaket umzusetzen und auf seine Wirksamkeit zu überprüfen. Es hilft niemanden, immer wieder neue Säue durchs Dorf zu treiben.


 

 
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